top of page

Das Projekt

Täglich laufen wir durch sie hindurch und schenken ihnen auf Grund ihrer Alltäglichkeit dennoch kaum Beachtung: den Straßennamen. Doch gerade durch diese Alltäglichkeit prägen sie unbewusst unsere Wahrnehmung und unser Gedächtnis. Ohne lange nachdenken zu müssen, wissen wir, wo sich die Straßen befinden, in der unsere Freund*innen wohnen, doch wissen wir oftmals nicht um die Bedeutung des Namens der Straße. Viele Straßennamen beschreiben topographische Gegebenheiten, tragen Flurnamen oder weisen einer Person die Richtung, doch es gibt auch viele Straßen, die nach Personen benannt sind. Ist bei der Bahnhofsstraße klar, dass es in deren Nähe einen Bahnhof gibt, ist die Zuordnung bei Personennamen zu der örtlichen Umgebung schwieriger. Es ist zudem so, dass viele Straßenschilder nicht erklären, um welche Person es sich auf dem Schild handelt, nur vereinzelt gibt es solche Ergänzungsschilder, die uns darüber aufklären, wem diese Straße gewidmet ist. Fehlen diese Schilder, ist es nicht ersichtlich, ob es sich bei der Person um einen Mann oder eine Frau handelt, da viele Straßenschilder nur einen Nachnamen tragen. Begibt man sich auf die Suche nach der Biographie, ist leider festzustellen, dass es sich bei den meisten Straßennamen um eine Ehrung eines Mannes handelt. 

 

FLINTA* sind bei der Benennung von Straßen deutlich unterrepräsentiert, von den knapp über 400 Straßen in Kiel, die nach Personen benannt sind, fallen gerade einmal 47 auf Frauen*. Eine ernüchternde Zahl. Die Gründe dafür sind im patriarchalen System zu finden: Lange Zeit wurden Frauen unterdrückt und auf ihre Arbeit im Haushalt reduziert, durften ohne die Erlaubnis ihres Ehemannes keiner Erwerbstätigkeit nachgehen oder es wurde ihnen der Weg zu einer Ausbildung erschwert. „Männliche Eigenschaften“ bei Frauen und ein Auftreten in der Öffentlichkeit wurden zudem als unschicklich bewertet. Schafften es Frauen zu Erfolgen, wurden diese kleingeredet und kaum beachtet. Das führte dazu, dass Frauen unsichtbar gemacht wurden und im Schatten der Männer standen. Das zeigt sich auch in den Benennungen von Straßen, denn wo es kaum Frauen in Wissenschaft, Kultur usw. gibt, gibt es auch kaum Frauen, deren Leistungen so herausragend waren, dass ihnen eine Straße gewidmet wird. Bei dieser Argumentation wird jedoch häufig vergessen, dass es für viele Frauen noch immer schwer ist, Bildung zu erhalten oder einen Abschluss zu erlangen, der sie dazu befähigt, Leistungen zu erbringen, für die Männer mit einer Straße geehrt werden. Und auch heute ist es noch oft so, dass die Arbeit von Frauen als minderwertig gesehen wird. 

Doch trotz all der Widrigkeiten gibt es viele FLINTA*-Personen, die Großes geleistet haben. Seien es Entdeckungen, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, kulturelle Erfolge oder wohltätige Zwecke. Doch leider werden uns diese oft verschwiegen. FLINTA*-Personen fehlt es daher oft an Vorbildern, die sie inspirieren, ungeachtet aller Hürden ihren Weg zu gehen. Dies kann in einem Teufelskreis enden.

 

Straßennamen dienen nicht nur der Orientierung, sie erfüllen auch eine Funktion der Erinnerung. Wird mit einer Straße eine Person geehrt, wird diese Teil unseres Gedächtnisses, da sie dauerhaft präsent sind und uns täglich begegnen. 

Diese Funktion ist nicht unerheblich. Gab es schon nach dem Ende des zweiten Weltkrieges bei Straßenbezeichnungen eine große Umbenennungswelle, da die Alliierten jegliche Erinnerung an die deutsche Militärkraft vor 1914 entfernen wollten, gibt es aktuell vor allem die Diskussion über Straßennamen, die an die deutsche Kolonialgeschichte erinnern. Noch immer gibt es in zahlreichen Städten Straßen, die so genannte „Afrikaforscher“ oder „Eroberer“ ehren. Für Schwarze Menschen in Deutschland ist die tägliche Begegnung mit diesen Namen ein re-traumatisierendes Ereignis. Schwarze Menschen waren zu lange Opfer der Kolonialisten, durch die Ehrung der Täter*innen wird ihr Leid relativiert und sie erneut viktimisiert. Es gibt daher viele Initiativen, die sich für die Umbenennung von Straßen, die in Bezug zu den deutschen Kolonien stehen, einsetzen. Auch in Kiel werden derzeit solche Umbenennungen diskutiert. 

 

In der Forschung wird im Bezug auf Straßennamen oft über Geschichtspolitik und Erinnerungskultur gesprochen, da erkannt wurde, dass die Bezeichnung von Straßen Einfluss auf unser Gedächtnis und unser Verständnis von Geschichte haben. Das Beispiel der „Kolonialstraßen“ verdeutlich diesen Einfluss der Straßennamen. 

 

Eine ausführliche feministische Betrachtung fehlt bisher. Es gibt Ansätze, das Ungleichgewicht bei der Straßenbenennung nach Person aufzuzeigen und zu analysieren, jedoch fehlt oft eine Analyse der konkreten Auswirkungen oder wird nur angerissen. Zudem gibt es solche Forschungen bisher nicht für Schleswig-Holstein.** Hier setzt dieses Projekt an. Es soll anhand einiger Beispiele die Verteilung der Straßenbezeichnung in Kiel aufzeigen und die Benennungen in den Kontext des kulturellen Gedächtnisses setzen. In Form eines geführten Spaziergangs werden die „Frauenstraßen“ zwischen der Muthesius Kunsthochschule und dem Blücherplatz beleuchtet. Der Spaziergang wird im Rahmen der Präsentationen der Semesterprojekte des Masters Raumstrategien der Muthesius durchgeführt. Zusätzlich wird es einen geführten Spaziergang im Rahmen des Anstimmen Festivals am 12. Juni 2022 geben. Ergänzend dazu gibt es zwischen dem 18. und 20.02.2022 eine Ausstellung in Haus 3 im Anscharpark in Kiel und diese Website. 

*Es wird der Begriff „Frauen“ verwendet, da es keine Aufzeichnungen darüber gibt, ob es sich bei den Benennungen um nicht cis weibliche Personen handelt. Es wird aber davon ausgegangen, dass bei den Benennungen nur cis Frauen berücksichtigt wurden bzw. die Namenspatroninnen als jene gesehen wurden.

 

**In Hamburg hat sich die Sozialhistorikerin Rita Bake mit dem Gedächtnis der Stadt beschäftigt und dabei eine ausführliche Analyse der Hamburger Straßen herausgegeben. Fokus dieser Arbeit ist jedoch die Sichtbarkeit von Frauen.

bottom of page